Leseprobe: „Aus Teufels
Topf“ von Hans-Ulrich Grimm - Knaur Verlag, 8,90 €
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Vom Essen sind
ausnahmslos alle betroffen. Und so sind, zum ersten Mal in der Geschichte, von
den neuen Risiken beim Essen grundsätzlich auch alle betroffen. Mittlerweile
nehmen die Menschen mehr industrielle Ingredienzen als manche echten
Lebensmittel zu sich: So verspeisen die Deutschen beispielsweise pro Kopf in
jedem Jahr 11 Kilo Bananen und 16,6 Kilo Tomaten, aber 18,8 Kilo industrielle
Lebensmittelzutaten. Das sind jene Ingredienzen, die auf den Packungen im
Kleingedruckten aufgeführt sind: vom Hühnerpulver bis zum Hefeextrakt, von Aroma
bis Zitronensäure, von Flüssigrauch bis zu Glutamat, dazu Emulgatoren,
Stabilisatoren, Säureregulatoren, auch pulverisiertes Huhn, Vollei, Rinderfett,
Farbstoffe. Gerade der massenhafte Verzehr von Supermarktprodukten bringt, rein
mathematisch, auch eine neue Risikolage…..
Das Essen kann zu
unerwarteten Effekten führen, zu Kopfschmerz etwa, woran heute schon 90 Prozent
aller Kinder zeitweise leiden, ja sogar zu Migräne. Und es kann bei Kindern das
so genannte Zappelphilipp-Syndrom auslösen. Der Münchner Kinderneurologe Joseph
Egger behandelte jedenfalls mit einer einfachen Diät ohne Fabriknahrungsmittel
und ohne bekannte Allergieauslöser 90 Prozent der kleinen Migränepatienten und
zwei Drittel der hibbeligen Hyperaktiven mit Erfolg – binnen weniger Wochen…..
Gift im Viehfutter,
Dioxin in Milch, Butter, Eiern: Eigentlich sollten die Supermärkte, die die
Lebensmittel verkaufen, für die Qualität ihrer Waren bürgen können. Doch dies
ist in der arbeitsteiligen industriellen Lebensmittelwelt illusorisch. Niemand
weiß, welche Zulieferer bei welchem Produkt in welchem Land am Werke sind - und
wie verantwortungsvoll sie dabei vorgehen…..
Mengenmäßig wird mehr
Viehfutter verkauft als Brot. Der Deutsche isst 84 Kilo Brot im Jahr. Von
Schweinen, Rindern, Kälbern, Puten werden in Deutschland knapp 18 Millionen
Tonnen industriell vorgemixter Futtermittel verspeist, was 225 Kilogramm pro
Bundesbürger entspricht. Das Agro-Business ist eine heimliche Wirtschaftsmacht,
die eigentlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdiente. Pro Tag werden in
sieben deutschen Wiesenhof-Schlachtereien 532 000 Hähnchen produziert, jedes
dritte Hähnchen, das weltweit verzehrt wird, stammt aus einem Betrieb des
Konzerns. Leichtes Kränkeln kann da katastrophale Folgen haben. »Tiergesundheit:
Wir tun mehr«, verkündet deshalb die Pharma-Abteilung und verteilt an die
Tierfabrikanten exakte Pläne zur vorbeugenden Behandlung und Impfung, etwa von
Geflügel. Schon am ersten Lebenstag kriegt das frisch geschlüpfte Küken seine
erste Dosis. Es bekommt Spritzen gegen die Gumboro-Krankheit und die Mareksche
Krankheit, zwei verbreitete Geflügelleiden. Alternativ gibt es ein Spray, das
den kleinen gelben Küken ins Gesicht gespritzt wird, wenn sie die Fabrikbrüterei
auf dem Fließband durchlaufen, bevor sie in die Plastikkiste rutschen, in der
sie zu ihrem nächsten Aufenthaltsort transportiert werden. Auch am siebten Tage
darf das Huhn nicht ruhn, da gibt es die nächste Ration, gegen die
Newcastle-Krankheit, von der die Artgenossen oft befallen werden. Der Impfplan
sieht wieder ein Spray vor, sowie eine Schluckimpfung, ganz schmerzlos übers
Trinkwasser. Und so geht es weiter: am 14. Tag gibt es zur Trink-Impfung noch
Augentropfen, am 21. Tag etwas gegen Bronchitis und am 28. Tag wieder. Kaum eine
Woche, in der nicht eine Arzneimittelgabe erfolgt, 18mal insgesamt im kurzen
Leben des Industriehuhns, zuletzt in der 22. Lebenswoche….
Der Weltkonzern Nestle
verkauft in Asien sogar calciumangereicherte Milch und Milchprodukte: »Sie
beugen der Osteoporose vor, dem weit verbreiteten Knochenschwund, der vor allem
ältere Menschen befällt«, verkündete in einem Interview mit der Wirtschaftswoche
stolz Nestle-Chef Peter Brabeck-Letmathe. Dass normale Milch ohnehin Calcium
enthält und gerade gegen Knochenschwäche empfohlen wird, sagte der Nestle-Chef
nicht. Eigentlich wissen die Firmen selbst am besten, dass ihre Erzeugnisse nur
zweite Wahl sind, dass die Früchte der Natur die besseren Nahrungsquellen
wären….